4. Wiedergabetechnik


5. Bildgestaltung in der Stereofotografie



Da wir es im Gegensatz zur Flachbildfotografie mit der Gestaltung im Raum zu tun haben, können wir deren Gesetzmäßigkeiten nicht bedingungslos auf die Stereofotografie übertragen.
Ein großer Teil dieser Gestaltungsmittel kann jedoch schon auf die Stereofotografie übertragen werden. Somit lohnt sich der Blick zur Flachbildfotografie auf jeden Fall.
Die hier dargestellten Möglichkeiten der Bildkomposition erheben keinen Anspruch auf Vollzähligkeit und es sollte auch nur als Anregung verstanden werden.


5.1. Der goldene Schnitt


Die Regel des goldenen Schnittes ist schon seit Tausenden von Jahren bekannt und besagt, dass der kleinere Teil sich zum größeren Teil verhält, wie der größere Teil zum Ganzen.
Das heißt, wenn ich einen Baum ins Bild setze, sollte ich diesen so platzieren, dass die kürzere Strecke zwischen Baum und Bildrand zur längeren Strecke zwischen Baum und Bildrand im gleichen Verhältnis steht, wie die längere Strecke zur gesamten Bildbreite. In etwa kann man diese Regeln einhalten, wenn man das Bild gedanklich horizontal und vertikal in drei Teile teilt und bildwichtige Gegenstände auf eine dieser Linien platziert oder punktförmige Bildteile auf einen der Schnittpunkte legt.
Auch in der Stereofotografie sollte man versuchen, wenn es möglich ist, das Bild nach dieser Regel zu gestalten. Es wird ein ausgewogener und ruhigen Bildeindruck erzielt. So sollte man z.B. die Horizontlinie nicht in die Bildmitte legen, sondern im oberen oder unteren Drittel platzieren.


5.2. Diagonale Linienführung


Linien, die diagonal durch das Bild führen, lassen uns geistig in das Bild hinein wandern. Sie verbinden den Vordergrund mit dem Mittelgrund und den Hintergrund.
Diese Diagonale sollte aber nicht durch das gesamte Bild verlaufen, sondern an einer Ecke beginnen, durch das Bild laufen und an einem Punkt des goldenen Schnittes enden.
Unsere Wahrnehmung empfindet es als angenehmer, wenn die Diagonale in der linken unteren Ecke beginnt und nach rechts oben verläuft.
Diese diagonale Linienführung hat in der Stereofotografie eine besondere Bedeutung, da sie den räumlich sehr stark wirkenden Vordergrund, mit dem nur wenig räumlich zu erfassendem Mittelgrund, mit dem nur noch durch die monokularen Tiefenwahrnehmungen räumlich zu unterscheidenden Hintergrund verbindet. Der Blick wird somit regelrecht vom Vordergrund in den Raum hineingezogen.


5.3. Zentralperspektive


Bei der Zentralperspektive gilt das Gleiche, wie bei der diagonalen Linienführung, nur beginnt die Linie nicht unbedingt in einer Ecke, sondern mehrere Linien führen von vorn in die Raumtiefe. Der Fluchtpunkt sollte aber ebenfalls nach der Regel des goldenen Schnittes angeordnet sein.
Die Zentralperspektive ist wie die diagonale Linienführung eines der wichtigsten Gestaltungsmittel des Raumbildners. Ein Weg, eine Baumreihe, ein Zaun oder dgl. führt uns in die Tiefe des Raumes. Es verbindet Vorder-, Mittel- und Hintergrund.


5.4. Vorder-, Mittel- und Hintergrund


Landschaftsfotos werden wie in der Malerei oder Flachbildfotografie auch beim Raumbild in Vorder-, Mittel- und Hintergrund unterteilt.
Da die Tiefenunterscheidung um so besser ist, je dichter die Dinge vor uns liegen, kommt dem Vordergrund in der Stereofotografie eine ganz besondere Bedeutung zu. Ohne Vordergrund ist ein Raumbild kein Raumbild mehr. Es wird zum Flachbild. Der Vordergrund gibt uns den Bezug zur Tiefe des Raumes. Ein paar Äste die ins Bild ragen, ein Blick durch einen Torbogen lässt uns den Raum dahinter erst richtig wahrnehmen. Die bildwichtigen Dinge müssen sich nicht im Vordergrund befinden. Aber durch den Vordergrund bekommen wir den räumlichen Bezug zum bildwichtigen Teil.
Der Mittelgrund ist die Verbindung von Vorder- und Hintergrund. Es ist der Bildteil, wo wir unser Hauptmotiv platzieren können. Wenn auch die binokularen Tiefenunterscheidungen nicht mehr so stark sind, sollte er nur in Ausnahmefällen weggelassen werden, z.B. beim Durchblick auf eine ferne Felsformation.
Dem Hintergrund kommt in etwa die gleiche Bedeutung wie beim Flachbild zu, da er ohnehin nicht mehr räumlich wahrgenommen werden kann. Er vervollständigt das Bild.


5.5. Einsatz von Mitteln der monokularen Tiefenwahrnehmung


Es mag an dieser Stelle etwas verwundern, dass bei der Stereofotografie, bei welcher der dreidimensionale Eindruck zwangsläufig entsteht, die Mittel der monokularen Tiefenwahrnehmung zur Hilfe genommen werden.
Bei der Stereofotografie wird der natürliche Sehvorgang nachvollzogen. Beim natürlichen Sehen können wir die Gegenstände unserer Umwelt nur bis zu einer Entfernung von ca. 50 m in der Tiefe unterscheiden. Alle Gegenstände, die weiter entfernt sind, nehmen wir mit zwei Augen genauso wahr wie mit einem Auge. Dennoch ist es uns möglich auch in dieser Entfernung in der Tiefe zu unterscheiden. Dazu verwenden wir die Mittel der monokularen Tiefenwahrnehmung.
Auch im Mittelgrund unterstützt die monokulare Tiefenwahrnehmung die räumliche Orientierung.

Die Mittel der monokularen Tiefenwahrnehmung sind:

5.5.1. Luftperspektive


Bei Dunst, der mehr oder weniger immer vorhanden ist, sehen wir Dinge, die weiter entfernt sind, blasser, als die Dinge, die dichter vor uns liegen. Somit erhalten wir eine Tiefenorientierung.

5.5.2. Zentralperspektive


Parallele Linien, die in die Tiefe führen, nähern sich optisch mit der Entfernung, bis sie sich scheinbar im Unendlichen treffen. Dinge, die gleich groß sind, werden mit der Entfernung scheinbar immer kleiner (z.B. eine Baumreihe am Straßenrand). Durch unsere Erfahrung können wir somit Dinge aufgrund ihrer Größe einer Entfernung zuordnen.

5.5.3. Teilweise Überdeckung


Wird ein Körper von einem anderen Körper teilweise verdeckt, so ordnen wir den teilweise verdeckten Körper in der Tiefe hinter den überdeckenden Körper an.

5.5.4. Farbenstereoskopie


Warme Farben scheinen uns näher als kalte Farben. Kleben wir rote Punkte auf ein blaues Blatt Papier, so scheinen die roten Punkte vor dem blauen Hintergrund zu schweben. Auf einem Flachbild, welches eine Frau mit rotem Kleid auf einer grünen Wiese mit blauem Hintergrund zeigt, können wir eine gewisse räumliche Tiefe erkennen.

5.5.5. Eisenbahneffekt


Der Eisenbahneffekt lässt sich aufgrund der fehlenden Bewegung auf einem Foto nicht darstellen, dient aber beim natürlichen Sehen und beim Film der Tiefenorientierung.
Sehen wir bei einer Fahrt mit der Eisenbahn aus dem Fenster, so bewegen sich die Dinge, die sich dichter vor uns befinden, schneller an uns vorbei, als Dinge, die weiter entfernt sind. Durch die unterschiedliche Geschwindigkeit, mit der die Dinge sich an uns vorbeibewegen erhalten wir eine Orientierung in der Tiefe.

Die Mittel der monokularen Tiefenwahrnehmung unterstützen zusätzlich unsere Raumwahrnehmung. Andererseits brauchen wir sie für Dinge, die so weit entfernt sind, dass wir sie nicht mehr stereoskopisch wahrnehmen können.


5.6. Das stereoskopische Scheinfenster


Da das stereoskopische Scheinfenster Bestandteil des Raumbildes ist und die Raumwirkung entscheidend von ihm mitbestimmt wird, soll es an dieser Stelle beschrieben werden.

Was ist das stereoskopische Scheinfenster?


Wenn wir durch ein Fenster schauen, so sehen wir am linken Rand mit dem rechten Auge etwas mehr als mit dem linken Auge und am rechten Rand ist es genau umgekehrt. Genau diese Bedingungen wollen wir auf die Betrachtung unserer Raumbilder übertragen. Daher rahmen wir unsere Stereo-Dias so, dass auf dem rechten Halbbild an der linken Seite und auf dem linken Halbbild auf der rechten Seite etwas mehr zu sehen ist. Dabei ist aber darauf zu achten, dass die fernsten Punkte nicht weiter auseinander liegen als 1,2 mm plus Halbbildabstand.
FPA = HBA + 1,2 mm (Siehe Abbildung 5.1)

Abb.5.1: Halbbildmontage
Da dies aber nur beim Stereorahmen nachgemessen werden kann, gilt anders ausgedrückt und auch für 2 x 5 x 5 Rahmung gültig, dass im rechten Halbbild ein gegebener Fernpunkt maximal 1,2 mm dichter am rechten Bildrand liegen darf, als auf dem linken Halbbild. Der Bezug auf den linken Bildrand ist genau umgekehrt.
Der angegebene Wert von 1,2 mm erklärt sich aus der max. Deviation, welche auf der Seite " 2. Die Theorie der Stereofotografie " genauer beschrieben wurde.
Für Punkte, die genau im stereoskopischen Scheinfenster liegen sollen, gilt:
NPA = HPA (Siehe Abbildung 5.1)

Legt man auf eine exakte Wiedergabe des Raumes Wert, so muss die Deviation von 1,2 mm, wenn ein Fernpunkt, der im Unendlichen liegt, im Bild vorhanden ist, in Bezug zum stereoskopischen Scheinfenster genau eingehalten werden.
Für die künstlerische Fotografie ist es meiner Meinung nach aber besser, wenn der nächste Gegenstand im Bild, der durch den Bildrand angeschnitten wird, knapp hinter dem stereoskopischen Scheinfenster zu liegen kommt.
Diese Art der Rahmung nennt man Nahpunktrahmung. Die stereoskopische Wirkung wird dann maximal ausgenutzt.
Es ist nur noch darauf zu achten, dass die Differenz der fernsten Punkte zum Bildrand nicht größer als 1,2 mm ist.
Der Abstand der nächsten Punkte im Bild, welche nicht durch den Bildrand angeschnitten werden, darf sich gegenläufig zu den Fernpunkten verhalten. Diese Gegenstände liegen dann vor dem stereoskopischen Scheinfenster. Wichtig ist aber, wie bereits gesagt, dass Gegenstände, die vor dem stereoskopischen Scheinfenster liegen, nicht durch den Bildrand angeschnitten werden dürfen. Die gesamte Deviation im Bild zwischen fernsten und nächsten Punkt sollte nicht größer als 1,5 mm sein, da es sonst zu Bildzerfall und Augenschmerzen kommen kann.
Abb.5.2: Projektionsbild
Bei der Projektion sollten die Strahlengänge des Stereoprojektors so ausgerichtet werden, dass das stereoskopische Scheinfenster auf der Bildwand liegt. Dies ist aber nur bis zu einem bestimmten Abbildungsmaßstab möglich, da mit zunehmender Vergrößerung die Abstände der Fernpunkte auf der Bildwand immer weiter auseinander rücken. Ihr Abstand darf aber maximal 6,5 cm betragen.
Siehe hierzu auch den Abschnitt " 4.5.1. Die geometrischen Zusammenhänge bei der Stereoprojektion und die sich daraus ergebende max. Deviation " wo auf diese Zusammenhänge näher eingegangen wird.
Abbildung 5.2 zeigt die beiden Halbbilder, wie sie bei richtiger Montage des stereoskopischen Scheinfensters auf der Bildwand erscheinen sollen.
Punkte, die genau im stereoskopischen Scheinfenster liegen, kommen auf der Bildwand zur Deckung. Der Abstand der Punkte, welche im Unendlichen liegen, ergibt sich aus dem Produkt von Deviation " D " und Vergrößerungsfaktor " ß ". Dieser Abstand darf nicht, wie bereits gesagt, größer als 65 mm sein.


5.7. Schlussbemerkung


Die hier genannten Gestaltungsregeln sind bei weitem nicht umfassend und sollen nur einen kleinen Einblick in dieses Gebiet verschaffen. Die wichtigste Gestaltungsregel ist ohnehin, dass gut ist, was gefällt. Es darf von allen oben genannten Gestaltungsregeln abgewichen werden, wenn das Bild Begeisterung hervorruft. Wichtig ist der persönliche Geschmack und dass das Bild gefällt.
Da aber auch der persönliche Geschmack geschult werden kann, helfen die oben genannten Regeln Bilder zu schaffen, welche vom Großteil der Menschen als schön empfunden werden.


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